Ab Juli: Neue E-Autos müssen künstlich Lärm erzeugen

Geräuschlos Fahren – das sei für viele „einer der großen Vorzüge von Elektroautos“, heißt es beim Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA). Doch das ist ab dem 01.Juli 2021 für neu zugelassene passé, denn ab dann tritt die EU-Verordnung 540/2014 in Kraft, die besagt: Alle neuen Batterie-Elektroautos, Hybridmodelle oder Wasserstofffahrzeuge müssen über ein „Acoustic Vehicle Alerting System“, kurz AVAS, verfügen und  bei Geschwindigkeiten bis 20 km/h sowie beim Rückwärtsfahren künstliche Warntöne erzeugen.

Der Grund besteht darin, dass durch die Geräuschwarnung der Straßenverkehr für andere Teilnehmer sicherer werden soll. Bislang war es möglich, im Stadverkehr bei Stop-and-go nahezu geräuschlos zu fahren, denn Wind- und Abrollgeräusche finden erste bei höheren Gewindigkeiten statt.

„Die Verordnung ist absolut kontraproduktiv. Wir hätten die Stille genießen können. Anstelle dessen wird nun ein mögliches Stück Lebensqualität zerstört“, sagt Ferdinand Dudenhöffer, Direktor des Center Automotive Research (CAR) in Duisburg, über die neue Regelung, denn schon aus medizinischen Aspekten wäre weniger Verkehrslärm zu begrüßen.

 

Dass geräuschlose Fahrzeuge jedoch zur Gefahr werden können, betont Stephan Heinke vom Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV): Diese jetzt in vollem Umfang greifende Verordnung sei für Blinde und Sehbehinderte enorm wichtig: „Die Umsetzung kann lebensrettend sein. Nur über das Hören sind Fahrzeuge jeglicher Art für unseren Personenkreis wahrnehmbar.“ Auch Kinder, Radfahrer, ältere Menschen und abgelenkte Fußgänger würden akustische Hinweise zur Orientierung benötigen, heißt es beim DBSV.

Der Geräuschpegel wird auf einen zwingend einzuhaltenden Wert zwischen 56 und 75 Dezibel begrenzt sein. Die US-Verkehrsbehörde NHTSA geht davon aus, dass durch das AVAS-Warnsystem, welches dort bereits seit 2020 besteht, in den USA künftig etwa 2400 Fußgängerunfälle pro Jahr verhindert werden können.

Für Ferdinand Dudenhöffer ist die AVAS-Verordnung dennoch nicht die beste Lösung. Mit dem Ergebnis, dass einige E-Autos sogar ohne Zusatzsound lauter als Verbrenner waren, hat er bereits vor zehn Jahren gemeinsam mit dem CAR-Institut Schwerhörige, aber auch Blinde und Sehbehinderte, die akustische Wahrnehmung neuer Verbrenner- und Elektrofahrzeuge gegeneinander abwägen lassen.

 

Für DBSV-Fachmann Stephan Heinke sind auch viele Autos mit Verbrennungsmotor gefährlich. „Durch die starke Verbreitung des Start-Stopp-Systems sind haltende Fahrzeuge an Überwegen jeglicher Art nicht mehr für unseren Personenkreis wahrnehmbar und bergen damit ein genauso großes Gesundheitsrisiko wie nicht hörbare Elektro- und Hybrid-Fahrzeuge.“

 

Spezielle Sounds der Hersteller

Welche Sounds die E-Autos produzieren, bleibt den Herstellern überlassen. So hat für VW den Klang des ID.3 und den der anderen ID-Baureihen Leslie Mandoki gestaltet, ehemals Mitglied der Popband Dschinghis Khan und später als Produzent für Jennifer Rush, Phil Collins oder Lionel Richie aktiv.

 

BMW engagierte keinen geringeren als Hollywoods Soundtrack-Komponisten Hans Zimmer (König der Löwen, Fluch der Karibik), mit dem Resultat, dass man zwar einen Pkw vorbeifahren sieht, jedoch ein Raumschiff aus einem Science-Fiction-Film hört. Aber auch die Passagiere kommen in den Genuss der Soundkonzepte Hans Zimmers. Man ist sich der Gefahr natürlich bewusst, trotz aller Akribie einen Sound zu erstellen, der am Ende nicht beim Kunden ankommt, denn „Gerade für die Zielgruppe von sportlichen Modellen ist Sound eines der wichtigsten Merkmale des Fahrerlebnisses“, so Renzo Vitale, Creative Director Sound bei BMW. Und diese Zielgruppe stehe Elektroautos noch skeptisch gegenüber. „Vor allem bei elektrischen Modellen möchten wir deshalb ein besonders emotionales Klangerlebnis erzeugen“, sagt der oberste Tonmeister von BMW. Dass Elektroautos wegen AVAS künftig ein Alleinstellungsmerkmal verlieren, stört ihn nicht. „Der Sound vermittelt ja neben Emotionen vor allem auch Informationen für die Menschen im Straßenverkehr“, so Vitale.

 

Fiat hingegen ließ den Klang des elektrischen Fiat 500 vom finnischen Stimmkünstler Rudi Rok performen, zudem auch noch eine Melodie aus Federico Fellinis „Amacord“ ertönt, sobald der Elektro-Fiat die 20-km/h-Marke erreicht.

By Published On: 15. Juni 2021Categories: DriverslineViews: 1007